„Sei nicht zu hart zu dir selbst“ höre ich es noch im Ohr nachklingen. Doch das ist gar nicht so leicht. Sind nicht eher Durchsetzungskraft und Leistung von uns heute gefordert? Das Leben macht uns oft hart. Wir verlangen viel von uns. Wir wollen nicht verletzlich sein, keine schwachen Stellen zeigen.
So ganz anders die Aufforderung im Lukasevangelium „Seid barmherzig“ (Lukas 6, 36). Barmherzig sein mit sich selbst. Wie gelingt das? Dieser Satz ist eine Ermutigung. Diesen Satz in der Seele zu tragen, kann uns stärken. Barmherzigkeit, oder anders ausgedrückt Selbstmitgefühl ist eine innere Haltung. Sie kann uns in turbulenten Zeiten zur Ressource und Kraftquelle werden.
Im Hebräischen wird mit „barmherzig sein“ der Mutterschoß bezeichnet. Also der Ort, an dem alles Leben seinen Anfang nimmt. Wir sind also vom Ursprung her, von Anfang an darauf angelegt, barmherzig, mitfühlend zu sein – mit uns und mit anderen. Das setzt voraus, dass ich mit mir verbunden bin – mit meinem Körper und meinen Gefühlen. Nur so kann ich mein Leben authentisch, im Einklang mit mir selbst leben. Authentisch leben wir, wenn wir unseren Ursprung im Blick behalten. Die hebräische Wortbedeutung zeigt uns auch, dass jedes „barmherzig sein“ Ausgangspunkt für neues Leben ist. Wenn wir uns selbst so annehmen wie wir sind, unsere Grenzen akzeptieren und milde mit uns und im Umgang mit anderen sind, kann neues Leben entstehen, wachsen, sich entfalten und reifen. „Barmherzig sein mit sich“ ist ein lebensbejahendes und lebenstiftendes Verhalten.
Wir dürfen also werden, was wir vom Ursprung her sind, ein barmherziger Mensch. Also lass mal fünf gerade sein, übe dich im Nichts-tun, im zweckfreien Da-SEIN – aus Liebe zu dir selbst!